Twitter-Interview (4) - Matthias Zellmer

Donnerstag, 19. Februar 2009

Mit @Zellmi habe ich auch schon die eine oder andere DM ausgetauscht, und auch unsere @reply-Dialoge fand ich immer sehr unterhaltsam. Auf meine Interviewfragen hat er sehr ausführlich und informativ gentwortet:

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Hallo Zellmi, du bist ja schon relativ lange bei Twitter. Verrätst du uns das Datum deines ersten Tweets?

Das war am 19. Oktober 2007 um 18:07. Ich verrate dir sogar was ich geschrieben habe … damals hab ich noch geschrieben, inzwischen twittere ich ja eher. Und bevor jetzt die Frage nach dem Unterschied im Raum stehen bleibt: Wenn ich irgendwas erlebe, ob belanglos oder bedeutsam, dann erwische mich inzwischen oft dabei, dass ich im Kopf schon mal den passenden Tweet formuliere. Aber zurück zu meinem ersten Tweet. Er lautete: “Ich habe gerade die Anmeldeprozedur hier durchlaufen und nun wird es spannend: Tatäääääää!!!! Mein erster Beitrag ….”. Und ich finde es sagenhaft, dass ich schon damals die von mir so sehr geschätzten Punkte verwendet habe. Die sind nämlich ein Minimarkenzeichen von mir …

Weißt du noch, wie du von Twitter erfahren hast?

Ich arbeite ja in einer Webagentur und bin da unter anderem auch dafür verantwortlich Trends und Entwicklungen im Web mitzubekommen und ggf. auch mal genauer nachzuschauen, um was es sich bei den einzelnen Sachen dreht. Twitter hatte ich in diesem Zusammenhang schon länger auf meinem geistigen "Das musst du dir unbedingt mal genauer anschauen" Stapel. Aber wo ich explizit zum ersten Mal von Twitter gelesen habe, keine Ahnung. Wird wohl auf irgendeinem Blog gewesen sein.

Was fasziniert dich an Twitter?

Zuerst einmal: Ja, Twitter fasziniert mich! Seit ich 1996 das Web entdeckt habe, liebe ich die sehr direkten Kommunikationsdienste, wie Chat oder Instant Messaging. Ich habe sogar mal gut 3 Jahre meinen Lebensunterhalt mit Chatten verdient. Aber Twitter hat eine ganz neue Note in die netzbasierte Kommunikation gebracht. Während Instant Messaging das Webäquivalent zu mit einem oder ein paar Leuten zuhause quatschend um einen Tisch rumsitzen und Chatten mit einem Abend in deiner Stammkneipe vergleichbar ist, ist Twitter der Marktplatz in einer kleinen Stadt. Man schlendert umher, sieht gute und weniger gute Bekannte und schnappt kurze Statements auf und kann wenn man will auch ein bisschen Smalltalk halten. Aber man kann sich auch mal auf den Rand des Brunnens stellen und laut rufend ein Frage an alle Anwesenden stellen. Wenn man Glück hat, bekommt man eine Antwort. Und zumeist ist die Antwort auch noch qualitativ hochwertig.
Auch faszinierend an Twitter ist, wenn ich mal jemanden treffe, den oder die ich bisher nur von Twitter kenne, dann gibt es eigentlich immer einen thematischen Anknüpfungspunkt für ein nettes Gespräch. Und wenn es auch nur Twitter ist.
Und um abschließend noch eine von vielen weiteren faszinierenden Sachen zu nennen, ich finde an Twitter auch toll, dass ich so zum Beispiel auch einen kleinen Einblick in den Alltag und die Welt von anderen Menschen wie zum Beispiel von dir bekommen habe. Ich denken noch gerne an den Augenblick zurück, als du nach einem einfachen und schnellem Gericht für das Mittagessen gefragt hast und ich dir Pfannkuchen mit Pesto und Parmesan vorgeschlagen habe. Und besonders toll war dann, dass du mir dann ein Extra-Lob von einem deiner Kinder ausrichten musstest. Da hab ich mich wirklich gefreut. Twitter macht mich also auch glücklich.

Mich hatte das damals auch glücklich gemacht, v.a. weil keines der Kinder am Essen rumgemeckert hatte ;-)
Aber weiter:
Anfangs twitterten die meisten Leute nur aus Spaß an der Freude, aber der Marketingaspekt rückt ja immer mehr in den Vordergrund. Was hältst du von dieser Entwicklung oder nutzt du sie gar selbst?

A: In gewisser Weise nutze ich Twitter auch als Marketinginstrument. Ich lasse automatisiert jeden Blogpost von unserem Netzlogbuch auch auf Twitter veröffentlichen. Und wenn man Google Analytics glauben darf, kommen darüber jeden Tag ein paar Dutzend Besucher auf unsere Seite. Aber ich denke, dass ist in meinem Fall auch legitim. Ich bin ein wirklich sehr aktives Mitglied der Twitter-Gemeinde und da sehen es mir die meisten eher nach, dass ich so was mache. Mich stören aber schon die vielen Leute, die jetzt meinen bzw. gehört haben, dass sie jetzt via Twitter quasi für umsonst was für andere vermarkten können. Sein eigenes Produkt zum Thema bei Twitter zu machen, dass finde ich in Ordnung. Solange man dabei authentisch ist und mehr als die Marketingfassette zeigt. Aber das ich so denke, liegt sicher auch ein Stück weit an meiner allgemeinen Abneigung gegen PR-Gebrabbel. By the way: Dazu habe ich gerade heute einen sehr schönen Satz auf spreeblick.de gelesen: "Wenn man genug Geld hat, kann man die Leute immer belügen. Wenn man keins hat, muss man die Wahrheit vermarkten."

Twitterst du täglich?

Kann man wohl so sagen. Im Urlaub twitter ich auch schon mal eine ganze Woche nicht, aber ansonsten nutze, besuche und gestaltet ich das Web täglich und da ist mir das Twittern inzwischen zur absoluten Gewohnheit geworden. Aber ich bin diesbezüglich auch kein Maßstab für die breite Masse, ich bin wohl eher die so oft erwähnte Sperrspitze der Bewegung ...

Hat sich dein Blogverhalten seit Twitter verändert?

Inhaltlich ja. Ich blogge inzwischen sehr häufig über Twitter im Speziellen bzw. Microblogging im Allgemeinen. Aber ich vermute mal, dass die Frage darauf abzielt, dass seit Twitter bei Bloggern populär wurde, die Anzahl der Blogposts im Allgemeinen durchaus rückläufig ist. Nein, ich blogge quantitativ vergleichbar viel, wie vor Twitter. Außerdem passen die Sachen, die ich in meinen Blogposts behandle, in aller Regel von der Anzahl der Zeichen in keinen Tweet.

Beeinflusst Twitter dein tägliches Leben IRL?

Ja, wie ich aber finde, durchaus positiv. Auch hier kann ich, neben dem schon Genannten, wieder nur ein paar Beispiele bringen. Wenn ich mal ein etwas spezielleres Problem auf der Arbeit habe, dann habe ich vor einem halben Jahr erst einmal in Google rumgestöbert. Das war oft zeitaufwändig und nicht immer von Erfolg gekrönt. Heute formuliere ich dann gerne eine Frage und poste sie bei Twitter. In aller Regel bekomme ich recht schnell eine qualifizierte Antwort. D.h. ich bekomme durch mein Twitter-Netzwerk schneller, bessere Antworten als früher.
Anderes Beispiel: Seit es Twitter zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat, finden sich in vielen Städten und so auch hier in Stuttgart vermehrt Menschen IRL zusammen und machen Stammtische oder ähnliches. Einer dieser Zusammenkünfte nennt ich pl0gbar und hat sich den Claim "Web2.0 in kuschlig" gegeben. Über Twitter haben einige der Leute erfahren, dass ich ein großer Fruchtgummi-Liebhaber bin und fast immer, wenn ich auf eine solche pl0gbar gehe, bringt irgendjemand Gummibärchen oder so etwas mit. Nette Sache!

Informierst du dich bei Twitter auch übers Weltgeschehen? Abonnierst du Newstweets, politische Tweets, etc?

Ja. Viele finden so etwas ja total daneben. Ich überhaupt nicht. Als ich zum Beispiel den RSS-Feed von heise.de noch über meinem RSS-Reader abonniert hatte, habe ich im Prinzip kaum etwas von den heise-News mitbekommen. Der Grund dafür war, dass jedes mal wenn ich nach dem heise-Feed geschaut habe, dort irgendwas zwischen 30 und 200 ungelesene Feeds drin waren. Fast immer habe ich dann einfach alle als gelesen markiert und so im Endeffekt keine heise-News gelesen. Jetzt folge ich heise bei Twitter und bekomme nun ab und an mal eine Meldung mit … geschätzte fünf bis zehn am Tag … und lese somit unterm Strich mehr heise-News als vorher. Das heißt, bei News-Diensten wie heise oder aber auch den Stuttgartnachrichten der Stuttgarter Zeitung, bei denen es mir nicht so wichtig ist, dass ich wirklich jede Meldung mitbekomme, da finde ich die Variante, die RSS-Feeds in meinen Twitter-Stream reinlaufen zu lassen schon sehr nützlich. Ähnlich verhält es sich im übrigen auch mit Gruppierungen und Menschen, die politisch ambitioniert twittern. In meinem RSS-Reader hätten die Feeds von denen echt einen sehr schweren Stand und sind somit in meinem Twitter-Stream ganz gut aufgehoben.

Wie ist deine aktuelle Followerzahl und wievielen Twitterern folgst du selbst?

Stand heute Mitte Februar gehe ich stark auf die 900 Follower zu und folge selbst ein paar mehr als 800. Und laut twompare.com sind es auch fast 800, denen ich und die auch gleichzeitig mir folgen. Das ist mir auch ziemlich wichtig, da Twitter für mich ein wichtiger Kommunikationskanal ist und das läuft für mich in aller Regel bidirektional ab. Die Quote war diesbezüglich mal besser, aber in letzter Zeit kommen schon recht viele Leute zu Twitter, bei denen man schnell sieht, dass sie Twitter nur nutzen, weil man es ihnen in irgendeiner Form als hipp, nützlich oder sonst was beschrieben hat. Da folge ich inzwischen nicht mehr per se zurück.

Welche Twitter-Clients und "Zubehör" nutzt du?

Mein Haupttwitter-Client sowohl auf meinem Windowsrechner auf der Arbeit, wie auch auf meinem privaten MacBook ist die Desktop-Applikation twhirl. Mobile, also von meinem einfachen Nokia-Handy aus, twittere ich meist über Twitter Mobil. Meine Lieblingsdienste neben Twitter selbst und hier vor allem die Twitter-Suche, sind Twitterfeed, um die RSS-Feeds meine Blogs automatisiert in meinem Twitter-Stream reinzubekommen, Twitpic für Bilder, 12seconds für Videos, blip.fm für Musik und Doesfollow, um zu sehen, ob ein bestimmter Twitterer auch mir folgt. Dann gibt es immer mal wieder irgendwelche Statistik-Dienst wie Grader, die ich auch immer mal wieder in Anspruch nehme. Ich mag es, wenn ich dadurch ein bisschen gebauchpinselt werde. In diese Kerbe schlägt auch Favotter, wo man gezeigt bekommt, welche Twitterer einen seiner Tweets als Favorit markiert haben.

Was fehlt dir bei Twitter, was würdest du verändern? Welche Features braucht die Twitterwelt unbedingt noch?

Ich fände es super, wenn ich bei Twitter direkt Gruppen anlegen könnte. Für mich sich einige Twitterer relevanter als andere. Einige, weil ich ihre Tweets fast immer geistreich oder fachlich interessant finde, andere weil ich sie persönlich mag und gerne an ihrem Alltag teilhabe. Ansonsten habe ich selbst noch ein paar Ideen, die ich aber hier nicht verrate, weil ich/wir vielleicht noch den einen oder anderen Twitter-Dienst selber aufziehen wollen.

Wo siehst du Twitter in 5 Jahren?

Twitter in fünf Jahren? Keine Ahnung! Wenn ich mir aber das Microblogging im Allgemeinen ansehe, dann könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass wir es dann mit einer weiteren etablierten Säule in unserem alltäglichen Kommunikationsportfolio zu tun haben werden. Ich könnte mir vorstellen, dass Microblogging bei diesen Dingen dann einen ähnlich festen Platz eigenommen hat wie Instant Messaging oder gar E-Mail. Wenn mir einer sagen würde, dass es in fünf Jahren entweder Twitter oder Facebook nicht mehr geben würde, und ich darauf wetten müsste, dann würde ich meinen Einsatz auf das Überleben von Twitter setzen.

Hast du andere spannende Entwicklungen im Netz entdeckt, denen du ähnliche Erfolgssaussichten bescheinigen würdest? Wenn ja: Welche?

Nein. Ich habe schon ein Idee davon wie sich einige Dinge im Web entwickeln werden, aber ähnlich spannende Entwicklungen wie das Thema Twitter bzw. Microblogging sehe ich derzeit nicht. Zumal ich Twitter & Co. Nicht aus dem Social-Media-Kontext reißen möchte. Und der ist hochspannend. Hier wird es noch mächtige Umwälzungen in allen uns bekannten Gebieten geben. Aber dazu mehr im nächsten Interview ;-)

Was habe ich nicht gefragt, was du aber gerne sagen würdest *g* ?

Wenn wir jetzt irgendjemanden animiert haben sollten, mit dem Twittern anzufangen, dann möchte ich den Neuligen raten, nicht zu viel zu erwarten. Bis Twitter mal richtig ins Rollen kommt, braucht es ein bisschen Zeit. Man muss sich nämlich ein eigenes Follower-Netzwerk aufbauen. Dazu würde ich zu Beginn nicht zu vielen Viel-Twitterern folgen. Das könnte ein Gefühl der Überforderung hervorrufen. Wenn ich noch mal Anfangen würde, dann würde ich mir ein paar gute/witzige/interessante alte Hasen suchen und ansonsten zusehen, dass ich hauptsächlich Leuten folge, die vergleichbar weit sind wie ich. So kann man gemeinsam die Welt von Twitter erkunden.

Und eins noch: Twemes find ich super!

Zellmi, vielen Dank für dieses informative Gesprach! Da kann sich jetzt so mancher User tweiterbilden ;-)

*** Hier könnt ihr Zellmi auf Twitter folgen. Hier bloggt Zellmi.

# Petra A. Bauer am 19. Februar 2009 um 10:02 Uhr
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Petra A. Bauer, Berlin - www.writingwoman.de